Nach wie vor müssen sich Hartz-IV-Bezieher den Kauf einer Brille vom Munde absparen

Ohne Brille sieht er alles nur verschwommen. Und dennoch: „Eine Brille hätte ich mir ohne Zuschuss nicht leisten können“, sagt Karl-Heinz T. Von den Vinzenz-Konferenzen im Erzbistum Paderborn hat der 62-Jährige, der Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) bezieht, 100 Euro Zuschuss erhalten, sodass er sich die Brille kaufen konnte. Laut den Vorgaben hätte der Mann aus Herne für seine Brille monatlich rund drei Euro zurücklegen müssen. „Bezieher von Sozialleistungen sollen sich eine Brille buchstäblich vom Munde absparen. Das ist utopisch“, sagt Matthias Krieg, Geschäftsführer der Vinzenz-Konferenzen mit Sitz beim Diözesan-Caritasverband Paderborn.

Seit Jahren setzen sich die Vinzenz-Konferenzen mit ihrer Aktion „Den Durchblick behalten“ dafür ein, dass Bezieher von Hartz IV und Sozialhilfe Zuschüsse zu Sehhilfen erhalten – bisher vergeblich. Doch die Vinzenz-Konferenzen kritisieren nicht nur, sie handeln im Rahmen ihrer Möglichkeiten: Im vergangenen Jahr zahlten sie 281 Bedürftigen Zuschüsse zu ihren Brillen, insgesamt knapp 17.000 Euro – viel Geld für den kleinen, aus rund 150 Ehrenamtlichen bestehenden Verband. Seit Beginn der Aktion wurden damit knapp 1300 hilfsbedürftige Brillenträger bezuschusst, mit insgesamt rund 106.000 Euro. Finanziert werden die Zuschüsse aus Eigenmitteln, aber auch aus Kirchensteuern und zu einem kleinen Teil aus Spenden.

Aktuell stehe zwar die Neufestlegung der Regelsätze für Grundsicherungsempfänger an, Bewegung in dieser Frage sei aber nicht zu erkennen, kritisiert Matthias Krieg. Sozialverbände werfen der Regierung deshalb vor, die Leistungen nicht nur für Brillen nach bewährter Methodik kleinzurechnen. „Das Ergebnis ist schon sehr lebensfremd und fern der Realität“, unterstützt Matthias Krieg diese Kritik.

Denn Bezieher von Sozialleistungen haben ebenso wenig wie gesetzlich Krankenversicherte, die eine Brille benötigen, einen Anspruch auf Unterstützung für den Kauf einer Sehhilfe. Eine Ausnahme gibt es nur für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie ab einer Glasstärke von sechs Dioptrien bzw. bei einer Hornhautverkrümmung ab vier Dioptrien. „Brillen sind aber in der Regel nicht – wie manchmal angenommen – zum Nulltarif zu haben“, erklärt Matthias Krieg von den Vinzenz-Konferenzen. Die Kosten können viele Menschen, die von Hartz IV leben, eine Mini-Rente bekommen oder aus ihrer Heimat geflohen sind, nicht aufbringen. „Für die betroffenen Menschen können daraus erhebliche Probleme im Alltag resultieren“, kritisiert Matthias Krieg. Ältere Menschen, die Angst vor Stürzen haben, Arbeitslose, die mangels einer Brille keinen neuen Job annehmen können, oder Menschen, die sich nicht gefahrlos im Straßenverkehr bewegen können – die Liste der schwerwiegenden Beeinträchtigungen ist lang. „Eine Brille ist von grundlegender Bedeutung, damit ein Mensch ungefährdet am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann“, sagt Matthias Krieg. „Der Staat kommt seiner Verantwortung für die lebensnotwendige Unterstützung bedürftiger Menschen nicht nach. Das wollen wir ändern.“

Karl-Heinz T. ist den Vinzenz-Konferenzen jedenfalls dankbar für den Zuschuss zu seiner Brille. „Sonst hätte ich nichts mehr zum Leben gehabt. Das Geld reicht ja so schon hinten und vorne nicht.“

 

Autor: M. Jonas, Pressestelle im Diözesan-Caritasverband im Erzbistum Paderborn e.V.