Eine veränderte Welt

Viel wird darüber gesprochen, diskutiert und philosophiert, ob und wenn ja wie Corona unsere Welt und unsere Gesellschaft (dauerhaft) verändert hat oder verändern wird. Abschließend wird man das wohl erst im Rückblick sagen können. Zu vermuten ist allerdings, dass die Veränderungen nicht so dauerhaft sein werden, wie sie sich in der Krise selbst darstellen. Erfahrungsgemäß lernen wir nie so viel aus einem Ereignis oder einer Krise, wie wir in der Krise immer meinen.
Zurzeit ist vieles verändert: Kontakte sind sehr eingeschränkt, Reisen fast nicht möglich, die Wirtschaft bricht ein, viele Geschäfte werden wohl schließen, viele Menschen sind auch persönlich wirtschaftlich sehr bedroht: sie bangen um Ihren Arbeitsplatz und um ihre Zukunft. Und selbst die Bettler leiden unter geringem Kirchenbesuch – so sie ihren Platz vor dem Domportal haben.
Freilich trifft dies nicht alle. Viele haben ein festes Gehalt oder eine Rente, und sind daher zumindest wirtschaftlich nicht so angegriffen. Die Lasten sind sehr verschieden verteilt.
Aber eines haben wir wohl gemeinsam. In einem Radiokommentar hörte ich einmal die Formulierung: Wir sind heraus aus der Komfortzone. In unserem Land mit jahrzehntelangem Frieden, mit – zumindest im Durchschnitt – wachsender Wirtschaft, mit unseren Versicherungen und Absicherungen, wir haben vergessen, dass das Leben gefährlich ist und dass man es nicht komplett planen kann. Wir müssen schmerzlich wieder lernen, dass wir nicht alles im Griff haben. Und Corona nimmt immer mehr solche Dimensionen an, dass wir beginnen zu ahnen, dass selbst Vater Staat nicht in der Lage sein wird, die Schäden komplett zu kompensieren. Und auch die Suche nach Schuldigen wird zwar immer wieder Opfer finden, die dies und das hätten besser, schneller und früher machen sollen, aber einen wirklich Schuldigen für die Pandemie selbst werden wir wohl nicht finden. Und selbst unsere Versicherungen werden die Folgen nicht beheben können.
Und dabei hatten wir uns so schön daran gewöhnt, dass an jeder Schwierigkeit und jedem Problem irgendjemand schuld sein muss, den wir nötigenfalls verklagen können. Und wenn das nicht ging, trat wenigstens eine Versicherung für den Schaden ein. Und wehe, wenn nicht. Dann muss der Staat dringend eine neue Regelung erlassen.
Wir vergessen dabei, dass ein Großteil der Menschen auf diesem Planeten in viel größerer Ungewissheit leben muss, ja dass viele nicht wissen, was sie am nächsten Tag essen sollen. Und das war schon vor Corona so – und wurde mit Corona natürlich nicht besser. Ein Großteil der Menschheit würde gerne ihre Probleme mit unseren tauschen.
Der Verlust der Komfortzone kann – wenn wir es zulassen – zu einem geistlichen Gewinn werden. Denn dieser Verlust führt uns wieder deutlich vor Augen, dass wir uns nicht nur an unseren Gehaltszetteln und Versicherungssummen fest machen sollten, sondern unseren Halt bei jemandem suchen, der nicht den Wechselfällen der Geschichte unterworfen ist. Gerade in der Krise zeigt sich der Wert eines wirklichen und festen Vertrauens auf Gott. Er schenkt die Hoffnung, dass alles in seiner Hand geborgen ist – auch wenn der Augenschein des Momentes anders aussieht. Und Menschen, die aus diesem Vertrauen gelebt haben, konnten in den größten Krisen bestehen und anderen beistehen in ihrer Not.
Als Vinzenz-Konferenz ziehen wir unsere Motivation und unsere Kraft aus diesem Glauben und Vertrauen. Geben wir beides freudig an die Menschen weiter. Sie brauchen es.

Dr. Thomas Witt (Geistlicher Beirat der Vinzenz-Konferenzen Deutschlands)