Alte Formen der Liturgie neu entdecken

Auch wenn „die Feier des eucharistischen Opfers“ – wie das Vaticanum II festgestellt hat – „Mitte und Höhepunkt des ganzen Lebens der christlichen Gemeinde ist“, so ist sie doch nicht die einzige Form des gottesdienstlichen Lebens. Daher heißt es im „Beschluss Gottesdienst“ der Gemeinsamen Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland: „Wenn aber am Sonntag ausschließlich Eucharistie gefeiert wird, verarmt das gottesdienstliche Leben der Gemeinde. Deshalb sollten auch andere Formen von Gottesdiensten (…) gepflegt, gegebenenfalls wieder aufgegriffen und erneuert werden.“

Wie die Gebetswache von Werl entstand
In einer Zeit, da Gottesdienste, die nicht Messfeier waren, weithin in Vergessenheit geraten waren, entstand die „Gebetswache“.
Konkreter Anlass war die Reise des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer nach Moskau, um in zähen und mühseligen Verhandlungen die Freilassung der letzten deutschen Weltkriegsgefangenen zu erreichen (1955). Es war dies die erste Reise eines deutschen Bundeskanzlers in die Sowjetunion. Damals machten sich Männer aus dem Erzbistum Freiburg auf dem Weg in die Schweiz, nach Sachseln zur Klause des großen Beters, Friedensstifters und Heiligen Nikolaus von Flüe, um die Mission des Bundeskanzlers durch Gebet und Fürbitte zu begleiten. Groß war die Freude und Dankbarkeit, als Adenauer sein Ziel erreichte, und man beschloss, eine regelmäßige Gebetswache auf dem Lindenberg bei St. Peter im Schwarzwald einzurichten. Männer aus allen Teilen der Erzdiözese Freiburg wollten stellvertretend für ihre Mitmenschen Tag und Nacht vor dem Allerheiligsten beten und Wache halten, um die Anliegen von Kirche und Welt vor Gott zu tragen. 1

Boy Sönke Petersen – er starb im Januar 2003, 95-jährig – war damals Diözesanreferent für Männerseelsorge in Paderborn. Er nahm an einer der ersten Gebetswachen teil und war von dieser Form der Liturgie so fasziniert, dass er sie in die Männerarbeit seines Erzbistums integrierte.

Von Anfang an war das Gebet für den Frieden und für die Frauen und Männer, die in Staat und Gesellschaft Verantwortung tragen, ein besonderes Anliegen der Gebetswache. Wir haben in unserer Erzdiözese eine andere Form gewählt, als sie in St. Peter üblich war. Bei uns trifft man sich jeweils an einem Wochenende (von Freitag bis Sonntag), bespricht tagsüber brennende Fragen aus dem kirchlichen, sozialen und politischen Leben und trägt die Anliegen in der nächtlichen eucharistischen Anbetung vor Gott. Dass für die Vinzenz-Konferenzen, die sich an der Gebetswache im Erzbistum Paderborn beteiligen, Themen aus der Gesellschafts- und Sozialpolitik und die ehrenamtliche Arbeit in den Gemeinden eine besondere Rolle spielen, versteht sich von selbst. Doch wird auch die Eigenverantwortung der Menschen, die sich in unterschiedlichen Notlagen befinden, deutlich. So lassen wir uns im Angesicht Gottes mit uns selbst und unserer Umwelt konfrontieren.

Der Ort hat sich verändert, die Anliegen sind geblieben

Um zu reflektieren, zu meditieren und Gott in der eucharistischen Anbetung zu begegnen, bedarf es eines entsprechenden Umfeldes. Dieses Umfeld fand die Gebetswache 40 Jahre lang im Franziskushaus der Franziskaner in Werl. Hier konnten die unterschiedlichen Gruppen zu sich selbst kommen; hier fand man Kontakt zu Gleichgesinnten und Anregung zum persönlichen und sozialen Verhalten auf der Grundlage des christlichen Menschendbildes; hier war man integriert in eine frohe Gemeinschaft von Männern, die als eine besondere, intensive Art von Kameradschaft erfahren wurde.
2001 musste sich der Orden vom Franziskushaus in Werl trennen. 2002 fand sich für die Gebetswache ein neues Domizil im Bergkloster der Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel in Bestwig. Auch dieser Ort bietet ideale Voraussetzungen. Das Umfeld hat sich geändert, die Anliegen der Gebetswache, die von unterschiedlichen Gruppen mit Leben gefüllt werden, sind geblieben.

Uns allen ist die Sorge um die Zukunft unserer Gesellschaft, unseres Volkes und unserer Kirche gemeinsam. Es reicht nicht, über dies oder jenes im Alltag zu schimpfen. In der Gebetswache holen wir uns die „Kraft von oben“, die uns fähig macht, uns vor Ort einzumischen und zu Veränderungen im positiven Sinn beizutragen.